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Alles im Vordergrund

Ein Fest der lebensnotwendigen Leichtigkeit: Zum 70. Geburtstag des Erzählers Milan Kundera

Er hat das Liebespaar unserer Zeit geschaffen, Romeo und Julia des 20. Jahrhunderts: Tomas und Teresa, in seinem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Anders als ihre Vorgänger haben sie ein Happyend — den leichten gemeinsamen Tod, auf der Landstraße. Die Liebe und der Tod, aber auch die Politik: es hängt alles miteinander zusammen, und nie hat man das intensiver gespürt als in den Sechzigern, der Zeit der Nouvelle Vague, die auf Frankreich nicht beschränkt blieb und nicht aufs Kino.

In den Sechzigern ist Milan Kundera Professor an der Filmhochschule in Prag gewesen, aber dann hat er doch das Theater vorgezogen und vor allem das Erzählen. Seines Engagements im Prager Frühling wegen bekam er Publikationsverbot und siedelte — „Das Leben ist anderswo“ — Mitte der Siebziger um nach Paris. Seit ein paar Jahren schreibt er seine neuen Romane auf französisch.

Sein Erzählen ist reine Nouvelle Vague — und bisweilen bedauert man es, dass er keine Filme macht. Als Philip Kaufman den Bestseller von der „Leichtigkeit des Seins“ verfilmte, hat Kundera sich bewusst vom Drehort, in Paris, ferngehalten. Das wäre, hat er bekundet, als würde ein Vater seiner Tochter beim Liebesakt zusehen. Dem Darsteller Daniel Day-Lewis freilich, der den Tomas spielte, soll er täglich kleine Skizzen gesandt haben, Kommentare gleichsam, geskribbelte  Regieanweisungen. (Sowieso, meint seine Frau Vera ‚ sei er irritiert, dass man ihn als Maler nicht anerkennt.)

Ein Kind der Nouvelle Vague also, ein Ziehsohn, was das Erzählen angeht, auch von Hitchcock und Renoir, zwei gewichtigen Meistern der Leichtigkeit. Er teilt ihr Entzücken, die gleichen Geschichten immer wieder aufs neue zu erzählen. Was auch einen Touch von Allgemeingültigkeit, von Unverbindlichkeit hat — die Titel suggerieren es: „Das Buch vom Lachen und vom Vergessen“, 1979, und das „Buch der lächerlichen Liebe“, 1986, „Die Unsterblichkeit“, 1990, und „Die Langsamkeit“, 1995.

Die Liebe ist sein großes Thema, und wie sie zusammenhängt mit der Politik und dem Tod, daran knüpfen sich immer wieder Reflexionen zu den großen Begriffen des Jahrhunderts, der Kitsch natürlich und Gott, die Scheiße und der Verrat. Dass sein neuester Roman jenen Begriff zum Titel hat, den sein Werk bislang dekonstruierte — die Identität! —‚ ist sicher eine autorgewollte Ironie.

An vielen Romanen, hat er in einer Anmerkung zu Musil geschrieben, störe ihn das Gefälle zwischen dem „Wesentlichen“ und dem, was in dessen Dienste steht. »In der Malerei gab es eine ebensolche Ungleichheit zwischen dem, was vorn, und dem, was hinten ist, dem, was mehr, und dem, was weniger Aufmerksamkeit erregt (die Figur- das Drumherum). Diesen ästhetischen Bruch haben die Kubisten beseitigt: Die dritte Dimension ist aus ihren Bildern verschwunden, und alles befindet sich im Vordergrund.“ Auch Kundera hat die dritte Dimension verschwinden lassen, ist ein Meister des Suspense geworden, ein Märchenerzähler: wozu das Bangemachen genauso gehört wie das Moralisieren. Und auch die Hoffnung muss sein. Der Begriff, den er für die Achtziger geprägt hat, ist heute ein wenig in Misskredit geraten, das lebensnotwendige Leichte verkam zum „light“. Ist das Walzerhafte, das seine Prosa beschwingt und ihr die analytische Schärfe verleiht, das er via Musil aus dem Wien der Zwanziger rettete, dem Ernst der Lage nicht angemessen?

Kann man heute, angesichts der Konflikte, der Konfrontationen, der Kriege jene Leichtigkeit noch einmal wiederfinden, die damals geboren wurde in der Stunde der Panzer, der russischen Invasion? Wird man jenes Balancieren zwischen dem inneren Menschen und der Körpermaschine wiedergewinnen, die dies Erzählen in jedem Satz vibrieren lässt? „Zwischen den beiden Seiten des Absoluten“, schrieb Deleuze, „zwischen den beiden Toden, dem Tod des Innen oder der Vergangenheit, dem Tod des Außen oder der Zukunft, vermengen sich die inneren Schichten des Gedächtnisses und die äußeren Schichten der Wirklichkeit, setzen einander fort, schließen sich kurz und bilden ein ganzes bewegtes Leben, das zugleich dasjenige des Kosmos und des Gehirns ist, die beide von einem Pol zum anderen Blitze schleudern...“

Bewegtes Leben: In seinem jüngsten Paar finden wir Tomas und Teresa wieder und ihr absolutes, bedrohtes Glück:

„Ich lasse dich nicht mehr aus den Augen. Ich werde dich ununterbrochen ansehen... Ich habe Angst, wenn mein Auge blinzelt. Angst, dass während dieser Sekunde, in der mein Blick erlischt, sich eine Schlange, eine Ratte, ein anderer Mann an deine Stelle schiebt.“

Und sie lassen die Lampe an seit diesem Tag. Die ganze Nacht. In allen Nächten. Im vergangenen Herbst hat Milan Kundera diese Schlusssätze geschrieben. Heute feiert er in Paris seinen 70. Geburtstag.

Quelle: Fritz Göttler in „Süddeutsche Zeitung“ vom 1./2. 4.1999