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Die Internet-Kurzpredigt:  Was ist der Mensch


Zum Beispiel ein Taxifahrer, der seinem Fahrgast bei einer nächtlichen Tour durch Paris sein Leben erzählt... (meistens ist es eher umgekehrt).

Im zweiten Weltkrieg war er bei der Marine. Sein Schiff wurde versenkt, und er schwamm drei Tage und drei Nächte im eiskalten Meer. Schließlich wurde er gerettet, schwebte aber monatelang zwischen Leben und Tod. Seit dieser Zeit hat er die Fähigkeit zum Schlafen verloren.

Wenn andere Menschen schlafen, sitzt er am Tisch, um zu schreiben, die Geschichte seines Lebens, die Geschichte eines Mannes, der drei Tage und drei Nächte lang im Meer schwamm, mit dem Tode rang, die Fähigkeit zum Schlafen verlor und seinen Lebenswillen trotz allem bewahrte.

Sein Fahrgast war diesmal Milan Kundera, der tschechische Schriftsteller, der uns die Geschichte überliefert in seinem Buch "Vom Lachen und Vergessen". Aber als er den Taxifahrer fragt, ob er dies alles aufschreibe für seine Kinder, als Teil der Familienchronik, lacht dieser bitter, nein, seine Kinder würde das nicht interessieren...

So bewundernswert im einzelnen diese Geschichte anmutet, so erschütternd wirkt sie als Bild: Wie vielen Menschen erscheint nicht das ganze Leben wie ein verzweifelter Versuch, sich über Wasser zu halten, nicht drei Mal vierundzwanzig Stunden, jeden langen Tag aufs Neue, eine einzige übermenschliche Anstrengung, nicht unterzugehen: Ohne Orientierung bei Tag, in undurchdringlicher Finsternis bei Nacht; das ganze Leben ein ewiges Rotieren der Arme und Beine, ein ständiges In-Bewegung-Sein im Kampf gegen den Tod - und sein Preis: eine einzige Ruhelosigkeit.

Und selbst das Schreiben wird ein Akt der Verzweiflung. "Wir schreiben Bücher", notiert Milan Kundera, "Wir schreiben Bücher, weil unsere Kinder sich nicht für uns interessieren. Wir wenden uns an eine anonyme Welt, weil unsere Frauen sich die Ohren zuhalten, wenn wir mit ihnen sprechen." (stb. 2288, S. 126 f)

Und doch: Ist er nicht bewundernswert, der Mensch, der schwimmt und schwimmt und hört nicht auf zu hoffen, dass auch das Wasser Balken hat und auch die schwärzeste Nacht ihr Licht, ist er nicht bewundernswert, der Mensch, der schreibt und spricht und hört nicht auf zu hoffen, dass da ein Auge ist zu lesen und ein Ohr, ihn zu verstehen.

Was ist der Mensch?: Die faszinierendste Begründung Gottes, die es gibt.
Weil der Mensch ist, muß Gott sein.

(von Pfarrer Michael Longard, Offenes Forum Glaube)